«Die Glaubwürdigkeit leidet weiterhin»

«Die Glaubwürdigkeit leidet weiterhin»

  • Bei der Römisch-Katholis­chen Kirche im Aar­gau sanken die Mit­gliederzahlen von 2019 zu 2020 um etwas mehr als zwei Prozent von 210’537 auf 206’303 Mit­glieder. Auch wenn dieser Rück­gang beschei­den daher kommt, bere­it­en die anhal­tend hohen Aus­tritte Sor­gen.
  • Kirch­liche Struk­turen erscheinen in der heuti­gen Gesellschaft zunehmend fremd, erk­lärt Luc Hum­bel die hohe Zahl an Kirchenaus­trit­ten.
  • Der Präsi­dent des Kirchen­rates der Lan­deskirche Aar­gau sieht aber auch, dass in der Coro­n­akrise die kirch­lichen Leis­tun­gen im Bere­ich der Seel­sorge und Diakonie sehr geschätzt wer­den.

Verluste auch bei den Christkatholiken

Auch die Christkatholis­che Kirche ver­meldet fürs 2020 Ver­luste. Haben sich die Mit­gliederzahlen in den Jahren 2015 bis 2019 mehr oder weniger sta­bil gehal­ten, so erfol­gten auf 2020 erst­mals stärkere Mit­glieder­rück­gänge – nach jew­eils 2 bis 3 Prozent in den ver­gan­genen Jahren sind es nun 5 Prozent. Die Mit­gliederzahl sank von 2’753 auf 2’630 Mit­glieder.

Bei einem Drit­tel der 123 Per­so­n­en han­dle es sich um Kon­fes­sion­swech­sel, so Ernst Blust, Präsi­dent der Christkatholis­chen Kirche im Aar­gau. «Es kommt oft vor, dass Leute merken, dass sie eigentlich römisch-katholisch sind und nicht christkatholisch, nach­dem sie sich zunächst als christkatholisch bei ihrer Wohnge­meinde angemeldet haben. In den meis­ten dieser Fälle erfol­gt admin­is­tra­tiv ein Kon­fes­sion­swech­sel zu römisch-katholisch. Die christkatholis­che Kirchge­meinde Aarau hat 2020 damit begonnen, Per­so­n­en, die mit gross­er Wahrschein­lichkeit falsch reg­istri­ert sind, sys­tem­a­tisch zu kon­tak­tieren, um die Kon­fes­sion­szuge­hörigkeit zu klären.»

Die reformierte Lan­deskirche im Aar­gau will Ihre Zahlen Anfang April pub­lizieren.

Luc Hum­bel, 2019 haben 4’672 Men­schen der katholis­chen Kirche den Rück­en gekehrt. Sie mein­ten damals gegenüber Hor­i­zonte: «Das sind sehr viele. Die Kirche ist in der Krise.» Im ver­gan­genen Jahr waren es nun mit 4’752 sog­ar noch leicht mehr Aus­tritte. Hält die Krise unver­min­dert an?
Luc Hum­bel: Die Aus­tritte haben sich auf hohem Lev­el sta­bil­isiert. Dies hängt damit zusam­men, dass die Krise anhält, viele Gläu­bige aber ger­ade in der aktuellen Krisen­lage die Dien­ste der Kirche im seel­sorg­erischen und diakonis­chen Bere­ich wieder ver­mehrt schätzen.

Nach­frage: Dass die Dien­ste der Kirche wieder ver­mehrt geschätzt wer­den, woran zeigt sich das?
Im Bere­ich der Diakonie haben viele Pfar­reien ver­schiedene Dien­ste ange­boten – beispiel­sweise einen Besuchs­di­enst oder Tele­fonkon­tak­te. Das wurde geschätzt. Und was die Seel­sorge bet­rifft, haben wir schon gemerkt, dass das Bedürf­nis nach ein­er Teil­nahme am Gottes­di­enst spür­bar war. Fast alle Gottes­di­en­ste mit ein­er Per­so­n­enbeschränkung auf 50 Per­so­n­en sind gut besucht wor­den, wie ich weiss. Auch die Zuschauerzahlen der virtuellen Über­tra­gun­gen bele­gen das.

Die Aus­tritte sind das eine, aber zunehmend ster­ben ja auch mehr alte Kirchen­mit­glieder, als dass neue durch die Taufe in die Gemein­schaft kom­men. Das sieht man den Mit­gliederzahlen nicht an. Wird das immer noch durch die Zuwan­derung aufge­fan­gen?
Auch dieser Effekt spiegelt sich in den Mit­gliederzahlen. Die Anzahl der Taufen ist per se rück­läu­fig – auf Grund von Coro­na wohl aktuell noch ver­stärkt, so wie bei den Hochzeit­en auch.

Wie sehr ist eigentlich die Über­al­terung in der Mit­glieder­struk­tur ein Prob­lem? Muss in den kom­menden Jahren mit mas­siv­en Ein­brüchen der Mit­gliederzahlen gerech­net wer­den, die nicht mehr von der Zuwan­derung kom­pen­siert wer­den kön­nen? Wom­it rech­nen Sie?
Vor­ab ist es wichtig, dass wir uns nicht einzig an Zahlen ori­en­tieren. Von der Alter­spyra­mide ist nicht einzig die Kirche betrof­fen. In welchem Mass weit­er­hin eine «katholis­che Zuwan­derung» den Mit­glieder­schwund zu kom­pen­sieren ver­mag, ist schwierig zu prog­nos­tizieren. Wichtiger als die Zahlen sind funk­tion­ierende Gemein­schaften in den Pfar­reien. Da sind wir aus mein­er Sicht im Aar­gau mehrheitlich gut unter­wegs.

Aber ges­part wer­den muss wohl zunehmend mehr, was bedeutet, dass Lan­deskirche und Kirchge­mein­den weniger Mit­tel für kirch­liche Dien­ste bere­it­stellen kön­nen.
Dass Insti­tu­tio­nen von Zeit zu Zeit eine Auf­gabenüber­prü­fung vornehmen müssen, gehört dazu. Und das kann zum Abbau von Leis­tun­gen führen.

Wie kann man denn mit immer weniger Mit­teln noch gute Seel­sorge und Diakonie bestre­it­en?
Wenn die Kirche weniger Mit­glieder hat, ist der seel­sorg­erische Aufwand auch geringer…

Aber ger­ade im Bere­ich der Diakonie hat die Kirche ja den Anspruch, für alle Men­schen, nicht nur für die Kirchen­mit­glieder da zu sein.
Ja, das ist so – umso akuter wird sich dann die Legit­i­ma­tions­frage stellen. Wir sehen aber auch, dass ger­ade von dis­tanzierten Mit­gliedern unser diakonis­ches Wirken sehr wert­geschätzt wird.

Wie sehr belastet Ihrer Ansicht nach noch immer die Miss­brauch­s­the­matik das Image der Kirche?
Nicht nur das Image, son­dern die Glaub­würdigkeit der Insti­tu­tion lei­det weit­er­hin. Wenn wir den Blick nach Deutsch­land richt­en, wird erkennbar, wie gross und wie vor­be­halt­s­los eine solche Aufar­beitung zu geschehen hat. Die Glaub­würdigkeit lei­det aber auch darunter, dass die kirch­lichen Struk­turen in der heuti­gen Gesellschaft zunehmend fremd erscheinen. Auch die Frage der Gle­ich­berech­ti­gung von Mann und Frau spielt hier – zu Recht – mit.

Sie haben im let­zten Jahr gesagt, dass ein Ruck durch die Kirche gehen muss, um eine Trendwende zu schaf­fen. Sehen Sie bere­its Ansätze?
Ich hoffe, dass der heilige Geist, der nun im Bis­tum Chur gewirkt hat, seinen Ein­fluss auch in der Bischof­skon­ferenz aufleben lässt. Es braucht diesen Ruck auf nationaler Ebene.

Und hier im Aar­gau? Wie kön­nte da ein notwendi­ger Ruck ausse­hen?
Als Präsi­dent des Kirchen­rates der Römisch-Katholis­chen Lan­deskirche engagiere ich mich per­sön­lich für einen Erneuerung­sprozess im Bis­tum. Als Lan­deskirche leben wir den Willen zur Verän­derung auch vor – ger­ade im Bere­ich der Gle­ich­berech­ti­gung der Geschlechter oder der Regen­bo­gen­pas­toral.

Wo bieten die aktuellen Zahlen Anlass für Zuver­sicht?
Die Zuver­sicht ist nicht in den Zahlen zu suchen, son­dern im Wirken der Kirche. Das stimmt mich zuver­sichtlich.

Andreas C. Müller
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